Initiative Lieferkettengesetz

Vergiftete Flüsse, einstürzende Textilfabriken oder Kinder, die auf Plantagen schuften müssen: Die Initiative Lieferkettengesetz setzt sich dafür ein, dass ein EU-Lieferkettengesetz solche Missstände in den Lieferketten europäischer Unternehmen zukünftig verhindert.

Wir sind ein Bündnis aus mehr als 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wir haben uns im September 2019 gegründet, um für ein deutsches Lieferkettengesetz zu kämpfen - mit Erfolg. Aufgrund des Widerstands der Wirtschaftslobby hat es aber leider große Schwächen und Lücken. Deshalb brauchen wir ein umso stärkeres EU-Lieferkettengesetz, das europaweit verpflichtende Menschenrechts- und Umweltstandards für Unternehmen schafft. Dafür setzen wir uns ein.

Wann ist das Gesetz
ein wirksames Gesetz?

Klar: Ein Gesetz, das nur zusätzlichen Verwaltungsaufwand schafft, ohne wirkliche Veränderung anzustoßen, ist für niemanden ein Gewinn. Doch Unternehmen, die sich jetzt schon ernsthaft um Verbesserungen in ihren Lieferketten bemühen, wissen: Für die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards zu sorgen, bedeutet nicht, Zulieferern Checklisten vorzulegen, diese abzuheften und verstauben zu lassen. Es bedeutet, die Art des eigenen Wirtschaftens partnerschaftlich und neu zu denken und umzugestalten, z.B.:

  • die eigenen Einkaufspreise daran anpassen, dass Löhne gezahlt werden können, die zum Leben reichen,
  • gemeinsam mit den Zulieferern Maßnahmen beraten, die die Arbeitssicherheit verbessern, und diese zusammen umsetzen,
  • erforschen, wie umweltschädliche Chemikalien durch umweltverträgliche ersetzt werden können,
  • begreifen, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn Hinweise auf Missstände von Arbeiter*innen in der Lieferkette über die eigene Beschwerdestelle eingehen, weil dies zeigt, dass sie funktioniert und Vertrauen geschaffen wurde,
  • mit anderen Unternehmen des Sektors innovative Lösungen für mehr Transparenz in der Lieferkette finden.

Ein gut ausgestaltetes EU-Lieferkettengesetz sollte gerade solche wirksamen Maßnahmen einfordern, z.B. indem es Einkaufspraktiken und Beschaffungsstrategien als eigenständige Präventionsmaßnahmen aufführt und faire Verträge mit den Zulieferbetrieben vorsieht.

Für all das braucht es Umdenken, neue Kompetenzen und gute Ideen. Nicht alles kann von heute auf morgen verändert werden. Doch ein gut ausgestaltetes EU-Lieferkettengesetz wirkt wie ein Katalysator für die Entwicklung wirksamer Lösungsansätze für die sozialen und ökologischen Probleme in Lieferketten, mit denen Unternehmen schon lange konfrontiert sind. Und wünschen wir uns nicht alle, mit unserer Arbeit einen positiven Beitrag in der Welt zu leisten?

Kaum wird die Diskussion um das EU-Lieferkettengesetz ernster, holen Bremser die Forderung nach einem „Belastungsmoratorium“ für Unternehmen aus der Mottenkiste der Blockadestrategien. Doch gleichzeitig wird immer sichtbarer, dass ein Weiter-so unseres Wirtschaftens nicht zukunftsfähig ist. Klimawandel, Artensterben und ausbeuterische Arbeitsbedingungen belasten das Leben von Menschen in aller Welt und treffen die hiesige Wirtschaft teils wie ein Boomerang zurück. Man denke nur an das fehlende Wasser im Rhein, das Transportketten unterbrochen hat. Wir haben keine Zeit zu warten, sondern JETZT müssen sich zukunftsfähige Ansätze in den Lieferketten durchsetzen – z.B. energiesparende Produktionsstätten, Artenvielfalt erhaltende Anbaumethoden, Modelle der Preisgestaltung, die Armut bekämpfen. HEUTE müssen Unternehmen sich zusammentun, um sektorweite Lösungen zu erarbeiten. Ein gutes EU-Lieferkettengesetz kann genau das fördern, z.B.:

  • wenn Unternehmen ihre Klimapläne auch einhalten müssen,
  • mit soliden Umweltvorgaben, die je nach Stand neuer Forschung und Entwicklung erweitert werden können,
  • mit der Aufgabe für Unternehmen, sich den größten Problemen in der Lieferkette als erstes zu widmen.

Soll Europa wirklich hinterherhinken, wenn es um die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft geht?

Corona, Klimawandel, der Angriffskrieg gegen die Ukraine: Die letzten Monate und Jahre haben unser Leben und unser Wirtschaften ordentlich durchgerüttelt. Lieferengpässe sind in aller Munde. Wir merken, wie vernetzt unsere globalisierten Lieferketten, wie abhängig wir als Welt voneinander sind. Gleichzeitig wurde sichtbar, wie wichtig gerade in diesen Zeiten die Übernahme von Verantwortung durch Unternehmen ist: Die Pandemie traf jene am härtesten, die ohnehin schon unter prekären Arbeitsbedingungen litten, die aufgrund extrem niedriger Löhne keinen Cent zurücklegen konnten. Von heute auf morgen wurden in der Coronapandemie massenhaft Textilarbeiter*innen auf die Straße gesetzt, da europäische Auftraggeber bereits bestellte Waren einfach stornierten. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine ließ die EU nach alternativen Quellen für Steinkohle, metallische Rohstoffe und Erdöl aus Russland suchen – in Ländern wie Kolumbien oder Indonesien, wo die Rohstoffindustrie jedoch zu massiven Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen beiträgt.

Wenn Unternehmen verantwortungsvoll mit den Partnern in der Lieferkette zusammenarbeiten, können sie dazu beitragen, dass wir die Krisen dieser Welt gemeinsam meistern, statt die Schwächsten im Stich zu lassen. Dabei können Unternehmen, die ihre Lieferketten besser kennen, leichter auf Krisen reagieren. So zeigen Untersuchungen u.a. der OECD, dass sozial und ökologisch handelnde Unternehmen mit der Corona-Krise besser umgehen konnten. Gleichzeitig haben sie mittel- bis langfristig bessere Aussichten, sich von der Krise wieder zu erholen.

Nicht ohne Grund werden kleine und mittlere Unternehmen (KMU) oft als das Rückgrat unserer Wirtschaft bezeichnet. In der EU sind zwei Drittel aller Arbeitnehmer*innen der Privatwirtschaft in KMU tätig – von Familienunternehmen mit langer Tradition bis zu neuen Start-ups, die es mit innovativen Ideen rasch zu einer mittelständischen Unternehmensgröße gebracht haben. Auch KMU sind Global Player: Als Hidden Champions exportieren sie Spezialgüter in alle Welt, beziehen Rohstoffe und Teilkomponenten aus verschiedenen Weltregionen oder haben eigene Produktionsstätten im Ausland. Für die Erfüllung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten bringen sie wichtige Voraussetzungen mit: In der Regel haben sie weniger Zulieferer und Geschäftspartner als Großunternehmen und können somit intensivere, langfristige und qualitativ hochwertige Geschäftsbeziehungen aufbauen. Gerade die braucht es, um Anliegen von Menschenrechten und Umweltschutz zu integrieren. Zum Beispiel beschreibt ein mittelständischer Magnethersteller, wie er seinen Zulieferer im Ausland zu höheren Standards bei der Arbeitssicherheit motivierte. Das führte dazu, dass die Arbeitsplatzzufriedenheit der Beschäftigten stieg und dadurch die Fluktuation beim Zulieferer sank.

„Deutsche Mittelständler sind heute bereits in der Lage, ihre Zulieferketten sehr gut zu organisieren. Sonst wären sie nicht so erfolgreich. Und wer eine hervorragende Qualität seiner Produkte in technischer Hinsicht garantiert, wird auch dazu in der Lage sein, wenn es um Löhne, Arbeitszeiten und Brandschutz bei den wesentlichen Zulieferern geht“, urteilt daher der Ökonom und Wirtschaftsweise Achim Truger.

Der bisherige Vorschlag der EU-Kommission für das EU-Lieferkettengesetz erfasst die kleinen und mittleren Unternehmen nicht. Damit gerade Risikobranchen wie die textile Industrie oder Schuh- und Lederbranche gemeinsam voranschreiten, wäre aber gut, wenn auch KMU dieser Risikobranchen von Anfang an vom Gesetz mit erfasst sind.

Mit ihren teils enormen Rohstoffbedarfen, ihren Einkaufsvolumina, ihren finanziellen und personellen Ressourcen sitzen große Unternehmen oft am längeren Hebel, wenn es um entscheidende Weichenstellungen im globalen Wirtschaften geht. Ein gut ausgestaltetes EU-Lieferkettengesetz verhindert, dass große Player ihre Verantwortung für die Umsetzung der Sorgfaltspflichten an kleinere Zulieferbetriebe einfach wegdelegieren. Dafür muss das Gesetz z.B. vorsehen dass,

  • Unternehmen ihre Geschäftspartner*innen bei der Umsetzung von Standards unterstützen (z.B. durch Schulungen und Kostenbeteiligung). Dies sollte als Kriterium für angemessene Vertragsklauseln mit Zulieferbetrieben festgelegt werden.
  • Unternehmen ihre Einkaufspreise und ihr Geschäftsmodell (z.B. Lieferfristen) an die Achtung von Standards anpassen müssen.

Mittelstand und Big Player: Es braucht die Stärken von beiden, wenn Mensch und Umwelt in den Lieferketten geschützt werden sollen.

Ein Schuhunternehmen lässt beim indischen Zulieferer eine Luftfilteranlage einbauen, damit Arbeiter*innen nicht mehr durch das Einatmen von Lösungsmitteln erkranken. Eine verlassene Mine wird so saniert und renaturiert, dass sie keine Gefahr mehr für die umliegende Gemeinschaft darstellt, sondern ökologischen Nutzen bringt. Ein Tourismusunternehmen schult die Hotels, mit denen es zusammenarbeitet, Kinderprostitution vorzubeugen und Verdachtsfälle zu melden. Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft engagieren sich zusammen im International Accord erfolgreich für Gebäudesicherheit im Textilsektor. Diese und noch viel mehr Maßnahmen zeigen: Verbesserungen für Mensch und Umwelt in den Lieferketten sind nötig und möglich. Sie bringen spürbare Veränderungen rund um den Globus. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz sorgt dafür, dass Unternehmen, die diese Schritte gehen, nicht im Wettbewerbsnachteil sind, sondern dass alle handeln müssen. Menschenrechtliche Sorgfalt bedeutet dabei nicht, sich aus einem Land zurückzuziehen, in dem Risiken für Menschenrechtsverstöße bestehen, sondern sich mit den Partnern vor Ort für Risikovorsorge und Abhilfe zu engagieren.

Als drittstärkste Wirtschaftsmacht kann die EU für den Planeten einen Unterschied machen. Wenn Unternehmen, die auf dem EU-Markt tätig sind, zur Achtung von Standards in ihren Lieferketten angehalten sind, ist dies auch ein Signal an Staaten in anderen Ländern, eigene Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt im Wirtschaften und deren Umsetzung zu verbessern. Das stärkt jenen Bewegungen den Rücken, die schon lange vor Ort für höhere Löhne, Gewerkschaftsfreiheit, Umweltschutz oder die Rechte von indigenen Gemeinschaften kämpfen.

Damit das EU-Lieferkettengesetz wirkliche Verbesserungen in Ländern des Globalen Südens bringt, sind z.B. folgende Aspekte wichtig:

  • In den Lieferketten müssen existenzsichernde Löhne und Einkommen gewährleistet werden und Unternehmen müssen eigene Preise entsprechend kalkulieren. Sie sind Schlüssel für so viele andere Herausforderungen wie etwa die Bekämpfung von Kinderarbeit und Armut.
  • Keine Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf „etablierte Geschäftsbeziehungen“. Denn gerade im informellen Sektor ist die Lage vieler Beschäftigter prekär.
  • Unternehmen müssen verpflichtet werden, Betroffene in den Wertschöpfungsketten von Anfang an durch Konsultationen und wirklich gut zugängliche Beschwerdeverfahren einzubeziehen.
  • Effektive Klagemöglichkeiten für Betroffene von Menschenrechtsverstößen. „Ein Lieferkettengesetz ohne Haftung ist ein leeres Versprechen.“ Dieser Satz der Gewerkschaftsführerin Kalpona Akter aus Bangladesch streicht die Bedeutsamkeit von Entschädigung und Gerechtigkeit für Betroffene im Globalen Süden hervor. Damit Menschen Zugang zu Gerichten in Europa erhalten, müssen Hürden abgebaut werden, z.B. durch eine faire Verteilung der Beweislast.

Das EU-Lieferkettengesetz ist nicht der einzige, aber ein wichtiger Baustein für menschenwürdiges und zukunftsfähiges Wirtschaften. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass er zum Gewinn für alle wird.

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