Die Schatten des Glitzers: Wie Kinder nach dem Mineral Mica schürfen

Das Mineral Mica ist kaum jemandem bekannt, dabei steckt es in vielen Produkten: in Autos, Handys, Computern, Haushaltsgeräten, Kosmetik, Farben und Lacken. Mica ist vielfältig einsetzbar, weil es Strom und Hitze isoliert, Materialien verstärkt und schimmert. Die größten Exporteure sind Indien und Madagaskar. Dort schürfen mehr als 32.000 Kinder Mica. Ein starkes EU-Lieferkettengesetz würde Unternehmen endlich verpflichten, wirksam gegen diese Form der Ausbeutung von Kindern vorzugehen.

In Indien wird Mica vor allem in den Bundesstaaten Bihar und Jharkhand abgebaut, den ärmsten Regionen des Landes. Dort werden circa 25 Prozent des weltweit verbrauchten Micas gewonnen[1], illegal und ohne jegliche staatliche Kontrolle. Nach Schätzungen lokaler Organisationen sind 300.000 Menschen in 847 Dörfern vom Mica-Abbau abhängig. Vor der Covid-19-Pandemie schürften etwa 22.000 Kinder Mica.[2] Aktuell arbeiten deutlich mehr Kinder, denn Corona hat die Probleme verschärft: Viele Schulen waren geschlossen, Schulspeisungen fielen aus. Familienmitglieder, die in anderen Regionen des Landes als Tagelöhner*innen arbeiten, können ihren Familien kein Geld mehr schicken, so dass auch ihre Kinder arbeiten müssen.

Die Aufkäufer des Rohstoffs Mica nutzen diese existenzbedrohende Situation gnadenlos aus: Vor der Pandemie konnte eine Familie durch ihre Mica-Tagesproduktion etwa 100 Indische Rupien verdienen, umgerechnet etwa 1,10 Euro. Der Verdienst lag damit schon weit unterhalb der Armutsgrenze von 1,90 Dollar pro Tag und Person und ist seitdem weiter gesunken.

Mica-Schürfen: extrem gefährlich und gesundheitsschädigend für die Kinder

Die jüngsten Kinder, die Mica schürfen, sind vier Jahre alt. Sie arbeiten meist gemeinsam mit ihren Eltern. Da es keinerlei Möglichkeit der Betreuung kleinerer Kinder gibt, sind Mütter gezwungen, auch Säuglinge und Kleinkinder mit zur Arbeit zu nehmen und sie Hitze und Staub auszusetzen. Die Arbeitsbedingungen sind gefährlich: Das Mica wird aus selbst gegrabenen Löchern geholt, die bis zu 20 Meter tief und nicht gesichert sind. Arbeitsunfälle – auch tödliche – sind häufig, denn die Schächte brechen ein oder laufen bei Regen mit Wasser voll. Immer wieder werden Erwachsene und Kinder verschüttet und ersticken. Kinder arbeiten bis zu zwölf Stunden, sie schürfen Mica und sortieren es nach Größe. Die meisten leiden unter Erkrankungen der Atemwege und Schnittwunden. Viele der Kinder sind unterernährt.[3]

Kinderarbeit in weiteren Exportländern 

In Madagaskar ist die Situation nicht besser: Auch hier arbeiten nachweislich Kinder beim Abbau von Mica. Im Jahr 2019 fanden Forscher*innen[4] Kinder in 14 Minen im Süden des Landes. Sie arbeiteten gemeinsam mit ihren Familien. Während die Männer Schächte ausheben und zum Teil verzweigte Tunnelsysteme anlegen, bringen Kinder und Frauen das Mica an die Oberfläche und sortieren es. Auch hier besteht erhebliche Unfallgefahr, da die Menschen ohne professionelle Ausrüstung und Absicherung arbeiten. Je nach Qualität des Mica zahlen Aufkäufer für den Tagesertrag eines Erwachsenen zwischen 27 Cent und 3 US-Dollar. Das Risiko der Kinderarbeit beim Abbau von Mica besteht auch in Brasilien und China, hier liegen bis heute allerdings keine Studien oder andere Belege vor.

Das deutsche Lieferkettengesetz: zu schwach beim Rohstoffabbau

Kinderarbeit im Bergbau – sei es über oder unter Tage – beeinträchtigt das Leben, die Gesundheit und die Sicherheit von Kindern. Deshalb gehört sie zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit, wie sie die Konvention 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) definiert. Solche Kinderarbeit ist in allen Staaten der Welt verboten. Sowohl die ILO Konvention 182 als auch die UN-Richtlinien für Wirtschaft und Menschenrechte legen fest, dass Unternehmen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit aktiv beenden müssen.

Doch das deutsche Lieferkettengesetz sieht eine abgestufte Verantwortung in der Lieferkette vor. Die Sorgfaltspflichten müssen Unternehmen vollumfänglich nur bei ihren unmittelbaren Lieferanten anwenden. Bei Zwischenhändlern in der tieferen Lieferkette müssen sie die Sorgfaltsmaßnahmen nicht systematisch, sondern nur „anlassbezogen“ umsetzen. Mit anderen Worten: Sie müssen erst handeln, wenn ihnen „substantiierte Kenntnisse“ über Missstände vorliegen, etwa Studien von Menschenrechtsorganisationen.

Genau hier liegt das Problem: Kein deutsches Unternehmen importiert Mica direkt von Aufkäufern in Indien oder Madagaskar. Stattdessen wird Mica über mehrere Zwischenhändler zunächst an weiterverarbeitende Betriebe in Indien verkauft, Dabei wird zum Teil die illegale Herkunft aus Bihar und Jharkhand verschleiert. Nachdem das Mineral zu Pulver vermahlen oder zu Platten gepresst wurde, wird es exportiert. Die Lieferkette für Farben und Kosmetik ist vergleichsweise kurz: Importeure verkaufen an die Hersteller in aller Welt. Für Autos und Elektronik ist der Weg des Mica weiter: Zumeist chinesische Firmen kaufen Pulver und Platten und stellen Vorprodukte und Komponenten für Autos, Elektronik und Haushaltsgeräte her. Sie werden wiederum in China oder weiteren Ländern verbaut und weiter exportiert. Für diese Importe gelten die schwächeren, anlassbezogenen Sorgfaltspflichten. Diese reichen aber bei weitem nicht aus, um die Menschenrechtsverletzungen in Mica-Lieferketten wirksam zu bekämpfen.

Ein starkes europäisches Lieferkettengesetz muss für die gesamte Lieferkette gelten

Das EU-Lieferkettengesetz muss deshalb die Schwächen des deutschen Gesetzes beheben und Unternehmen verpflichten, Menschenrechtsverletzungen in der gesamten Lieferkette ohne Abstufung zu verhindern – angefangen beim Rohstoffabbau. Wenn beim Mica-Abbau Kinder ausgebeutet werden, müssen Unternehmen wirksame Präventions- und Abhilfemaßnahmen ergreifen.

Erst wenn das EU-Lieferkettengesetz alle Unternehmen in der EU auf diese Maßnahmen verpflichtet, nutzt es die enorme Marktmacht der EU, um ausbeuterische Kinderarbeit zu bekämpfen. Auch kleine Unternehmen müssen in die Pflicht genommen werden, denn auch sie kaufen Produkte ein, in denen Mica enthalten ist. Dass Mica nur in sehr geringen Mengen in Produkten enthalten ist, darf für Unternehmen keine Entschuldigung mehr sein!


[1] GLOBAL MICA MINING AND THE IMPACT ON CHILDREN’S RIGHTS, SOMO, terre des hommes, Amsterdam 2018, https://www.datocms-assets.com/22233/1590502430-terre-des-hommes-global-mica-mining-research.pdf

[2] BEAUTY AND A BEAST CHILD LABOUR IN INDIA FOR SPARKLING CARS AND COSMETICS, Stichting Onderzoek Multinationale Ondernemingen (SOMO) Centre for Research on Multinational Corporations, terre des hommes, Amsterdam 2016, 1590499248-terre-des-hommes-beauty-and-a-beast.pdf (datocms-assets.com)

[3] Ebd.

[4] CHILD LABOUR IN MADAGASCAR’S MICA SECTOR Impact of the mica supply chain on children’s rights from the Malagasy mines to the international product line; Somo, terre des hommes Netherland, Amsterdam 2019, 1623490704-child-labour-in-madagascars-mica-sector-terre-des-hommes.pdf (datocms-assets.com)

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