Vorfahrt für Menschenrechte: Über den Arbeitskampf im Transportsektor

Ausstehende Löhne und Sozialleistungen, überlange Arbeitszeiten, Missachtung der geltenden Rechtslage, schlechte Hygienebedingungen, Vortäuschung falscher Tatsachen im Anwerbeprozess bis hin zu Anzeichen von Zwangsarbeit und Menschenhandel – die Liste der Risiken und realen Missstände ist lang. Und sie betrifft eine Branche, die selten im Fokus steht, wenn es um Menschenrechtsverletzungen in den Wertschöpfungsketten global gehandelter Güter geht: die Transport- und Logistikbranche – Drehscheibe unserer globalisierten und arbeitsteiligen Wirtschaft.

Als die Autobahnraststätte Gräfenhausen an der A5 im Jahr 2023 zweimal Schauplatz eines mehrwöchigen Arbeitskampfes wurde, hat dies ein Schlaglicht auf die teils unwürdigen Bedingungen in der Transport- und Logistikbranche geworfen. Im Frühjahr und im Herbst 2023[1] hat es ein kleiner Teil der Beschäftigten aus dieser Branche sogar in die Abendnachrichten geschafft: Über 100 LKW-Fahrer sind auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen in Südhessen in einen langen Arbeitskampf getreten, in dem sie für ihre ausstehenden Löhne kämpfen mussten. Das polnische Speditionsunternehmen, für das sie tätig sind, schuldete ihnen zeitweise über eine halbe Million Euro. Doch statt in Verhandlungen zu treten, schickte das Unternehmen am Karfreitag 2023 Schlägertrupps vorbei, um der LKW habhaft zu werden. Nur der örtlichen Polizei ist es zu verdanken, dass den Fahrern nicht Schlimmeres passiert ist. Das alles passierte mitten in Deutschland – eine Ausnahme? Mitnichten! Nicht alle Transportdienstleister sind kriminell, aber die Probleme sind systemisch, sie sind bekannt und spielen sich auf verschiedenen Etappen der Transport-Lieferkette ab. Und immerhin: in Deutschland hat die Polizei zugunsten der Beschäftigten eingegriffen und ein breites Netzwerk an Menschen aus Gewerkschaft und lokaler Bevölkerung hat den Beschäftigten beigestanden. Das ist nicht überall der Fall.

Erfolgreicher Streik in Gräfenhausen | Foto: DGB-Beratungsnetzwerk Faire Mobilität

Der DGB Hessen-Thüringen errechnete seinerzeit an einem Fallbeispiel einen Stundenlohn von unter 2 Euro für einen Fahrer, dem nach geltendem Recht deutscher Mindestlohn zustehen würde und dem ein Monatslohn von 2.400 Euro versprochen worden war[2]. Auch das ist nach Aussagen des DGB-Beratungsnetzwerkes Faire Mobilität keine Ausnahme. Denn der Transport von Waren unterliegt einem desaströsen Preiskampf. Das führt nicht nur zu skandalösen Bedingungen im europäischen Straßengüterverkehr[3],[4], sondern wird auch auf dem Rücken vieler Arbeiter*innen in den Häfen und Lagerhäusern[5] sowie der Seeleute an Bord der Containerschiffe[6] ausgetragen. Seeleuten fehlt auf den Schiffen zudem oft die Möglichkeit, via Internet mit ihren Familien in Verbindung zu bleiben, oder der Landgang wird ihnen aus verschiedenen Gründen verwehrt.

Unterschiedliche Symptome – gleiche Ursachen

Die Mechanismen sind strukturell und gleichen den Problemen, die wir in vielen Teilen der Welt immer wieder ausmachen, wenn wir uns mit dem Thema Zwangsarbeit beschäftigen: Armut und Ausweglosigkeit führen dazu, dass Menschen systematisch missbraucht werden. Hierzu gehören illegale Praktiken von Anwerbeagenturen, wie das Vortäuschen falscher Tatsachen und Ausnutzen von fehlenden Sprachkenntnissen. Auf Europas Straßen sind es vielfach Menschen aus Drittstaaten wie Georgien, Usbekistan oder Tadschikistan, zunehmend aber auch aus Süd(ost)asien und Afrika, die für Hungerlöhne und unter miesesten hygienischen Bedingungen oft monatelang in der LKW-Kabine hausen. Auf internationalen Schiffen sind es vor allem Menschen aus den Philippinen, Russland, Indonesien, China und Indien. Sie alle eint, dass sie sich nicht zur Wehr setzen können, denn sie kennen die Rechtslage nicht und haben wenig Unterstützung, sie sprechen die Sprache nicht, in der sie die Verträge unterschrieben haben, ihre Aufenthaltserlaubnis ist gekoppelt an das Arbeitsverhältnis, sie können sich nicht organisieren, weil sie ständig unterwegs sind und sie werden oft massiv eingeschüchtert.

Arbeitsrechtliche Risiken in der internationalen Handelsschifffahrt

Seeleute werden häufig von Agenturen angeworben, die sowohl Vermittlungsgebühren verlangen als auch die Kosten für die Anreise zum Schiff und nötige Visa in Rechnung stellen, obwohl diese Praxis rechtswidrig ist[7]. Die Arbeit auf See beginnt so für viele häufig schon mit einer Schuldenfalle. Neben harter, körperlicher Arbeit auf den Schiffen wird von überlangen Arbeitstagen, ausbleibenden, zu geringen oder ungleichen Lohnzahlungen, mangelhafter Verpflegung, einbehaltenen Pässen oder fehlender medizinischer Versorgung berichtet. Diese Bedingungen herrschen nicht nur auf Schiffen ausländischer Reedereien. Ausbeuterische Arbeitsbedingungen können auch bei europäischen bzw. deutschen Reedereien vorkommen, zum Beispiel der Zwang zu Überstunden, nicht ausgezahlte Löhne, Diskriminierung und mangelhafter Zugang zu Nahrung und Wasser für die Crew[8].

Harte Arbeit für wenig Lohn in der Handelsschiffahrt | Foto: Legoupi S./ ILO via Flickr

Ob Corona, der russische Krieg gegen die Ukraine oder die Huthi-Attacken, die die Durchfahrt durch den Suez-Kanal riskant machen – die Arbeitssituation von Seeleuten hat sich in den letzten Jahren noch verschärft. Hierzu zählen nicht nur die verstärkten Angriffe auf Schiffe in Krisenregionen, sondern auch die prekäre Situation von Seeleuten, deren Schiffe von den Eigentümer*innen aus ökonomischen Gründen aufgegeben wurden. Manche Seeleute harren monatelang auf diesen verlassenen Schiffen aus – in der Hoffnung, ausstehende Löhne doch noch zu erhalten[9].

Arbeitsrechtliche Risiken im (europäischen) Straßengüterverkehr

Zur Sicherstellung einer guten Logistik setzen Unternehmen auf ein hohes Maß an Flexibilität – die Beauftragung von Subunternehmen zur optimalen Auslastung und dem Ausgleich von Belastungsspitzen gehört dazu. Gerade innerhalb dieser intransparenten Subunternehmer-Strukturen herrschen aufgrund eines immensen Preisdrucks bei der Vergabe die schlimmsten Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig sind die behördlichen Kontrollen auf deutschen Straßen schwach und Strafen so gering, dass es lukrativer ist, Recht zu brechen. Zu den Missständen im Straßengüterverkehr in Deutschland und Europa gehören u.a.[10],[11]:

▪️lange Arbeitszeiten und unbezahlte Überstunden, auch unter Umgehung der gesetzlich vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten sowie der vorgeschriebenen Mindestlöhne,

▪️Arbeitszeitmodelle, deren Ausgestaltung einen zusammenhängenden Erholungsurlaub verhindert, indem z.B. einzelne Urlaubstage für die freie Woche verrechnet werden,

▪️niedrige Löhne, teils auch einbehaltene Löhne, z.B. im Falle einer Kündigung, oder die widerrechtliche Anrechnung von Spesen, Anwerbe- oder sonstiger Gebühren auf die Mindestlöhne,

▪️schlechte Infrastruktur für die notwendigen Pausen, fehlende Parkplätze und unsichere und unhygienische Bedingungen auf den Rastplätzen und den Ladestationen,

▪️Umgehung von gesetzlichen Vorgaben, z.B. auch durch die Aushändigung falscher Dokumente und falscher Arbeitszeitdokumentation,

▪️Einsatz von Arbeitnehmer*innen aus Drittstaaten ohne ausreichende Papiere.

Erste Erfolge durch das LkSG

Dass das Lieferkettengesetz Wirkung zeigt, hat nicht zuletzt der eingangs erwähnte Streik der LKW-Fahrer in Gräfenhausen gezeigt: In die festgefahrene Situation kam Bewegung, als der damalige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ankündigte, Sonderprüfungen bei den Unternehmen, deren Waren auf den LKW verladen waren, vornehmen zu lassen. Der Chef der Behörde reiste eigens an, um die Frachtbriefe zu prüfen. Ein paar Tage später haben die streikenden LKW-Fahrer ein Großteil ihres ausstehenden Lohns ausgezahlt bekommen. Seither ist Bewegung in die Branche gekommen – auch bei der Industrie und den Unternehmen, die die Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Noch ist es schwierig, Licht in das sehr komplexe und intransparente Netzwerk der Sub-Subvergabe zu bringen. Aber viele Unternehmen haben die Risiken erkannt und nehmen die Branche als das wahr, was sie ist: Eine Hochrisikobranche, bei der genaueres Hinschauen erforderlich ist.


[1] SÜDWIND-Blog: „In Katar sind die Bedingungen besser als in Europa“

[2] DGB Hessen-Thüringen (2023): Die Solidarität ist ungebrochen, Pressemitteilung; https://hessen-thueringen.dgb.de/presse/++co++583ee128-45a2-11ee-be39-001a4a160123

[3] ITF Global: European trucking’s systemic exploitation of workers

https://www.itfglobal.org/en/stories/exposed-european-truckings-systemic-exploitation-workers

[4] DGB Beratungsnetzwerk Faire Mobilität: Arbeitsbedingungen im internationalen Straßentransport in Deutschland; Juni 2025; https://www.faire-mobilitaet.de/dgb-fm-fileadmin/dateien/Dokumente/Internationaler-Stra%C3%9Fentransport/Fachinformationen/Dossier_Arbeitsbedingungen_Entsendung_06_25_barrierefrei.pdf

[5] Systemrelevant – und dennoch unsichtbar. Arbeitsbedingungen in der Hafen- und Lagerlogistik; https://www.suedwind-institut.de/fileadmin/Suedwind/Publikationen/2025/FS-2025-06-Hafenlogistik.pdf

[6] Zhang et al 2020: Restructuring seafarers’ welfare under the Maritime Labour Convention: an empirical case study of Greece

[7] ITF Seafarers’ Bulletin 36/2022: https://www.itfglobal.org/sites/default/files/node/resources/files/SB2022-EN.pdf

[8] World Maritime News 2019: ITF: Seafarers Provide Insight on Working Conditions on Blumenthal Vessels https://www.offshore-energy.biz/itf-seafarers-provide-insight-on-working-conditions-on-blumenthal-vessels/

[9] Engelhardt, Anne (2025): Arbeits- und Menschenrechte auf hoher See: Auch für Seeleute braucht es ein (globales) Lieferkettengesetz; https://suedwind-institut.blogspot.com/2025/04/arbeits-und-menschenrechte-auf-hoher.html

[10] De Smedt / De Wispelaere (2020): Road freight transport in the EU

[11] Weirich / Wahl 2022: Informationen zur Branche »Internationaler Straßentransport«

Weitere Fallbeispiele

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