Konzernverantwortungs-Initiative holt absolute Mehrheit und scheitert trotzdem

Bei der gestrigen Abstimmung in der Schweiz ist die Konzernverantwortungsinitiative zwar am sogenannten „Ständemehr“ gescheitert, hat aber eine absolute Mehrheit der Stimmen erreicht. Vor einigen Jahren wäre ein solches Ergebnis noch undenkbar gewesen. Das zeigt: Die Achtung der Menschenrechte und der Schutz Umwelt ist vielen Menschen ein großes Anliegen.

Berlin, 30.11.2020 – 50,7 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für die Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“, kurz: Konzernverantwortungsinitiative. Damit sprachen sie sich für eine Verpflichtung von Konzernen mit Sitz in der Schweiz, entlang ihrer Lieferkette die Menschenrechte nicht zu verletzen und die Umwelt nicht zu zerstören, aus. Doch die Initiative scheiterte trotzdem: Sie verfehlte das „Ständemehr“, die erforderlichen Mehrheit an Kantonen.

Mit einer schmutzig geführten Gegenkampagne hatte die Konzernlobby mit aller Kraft versucht, mehr Verantwortung für Unternehmen zu verhindern. Sie streute Falschmeldungen und irreführende Behauptungen, beispielsweise zu einer angeblichen Betroffenheit kleiner und mittlerer Unternehmen oder einer vermeintlich drohenden Klagewelle. Als wäre das nicht schon beschämend genug, deckte der Schweizer Tages-Anzeiger kürzlich auf, dass der Unternehmensverband Swissholdings mutmaßlich die Agentur „Goal“, die auch für die deutsche AfD tätig ist, mit einer Nein-Kampagne beauftragt hat. So kursierten mehrere verunglimpfende, massiv beworbene Videos eines anonymen Absenders in den Wochen vor der Abstimmung auf Facebook. Die Videos stellten die Unterstützer*innen der Initiative als gewaltbereite Kriminelle dar. Der Tages-Anzeiger geht davon aus, dass die Agentur „Goal“ hinter den Videos steckt, in wessen Auftrag, ist noch ungeklärt.

Was die Moral und Verantwortung der Konzerne angeht, ist dieses Verhalten entlarvend – doch es hatte Erfolg. Trotzdem: Ungeachtet aller Diffamierungen war immer noch eine Mehrheit der Schweizer davon überzeugt, dass Unternehmen auch im Ausland Menschenrechte achten müssen und die Umwelt nicht zerstören dürfen.

Aufgrund des Scheiterns der Initiative wird nun der Gegenvorschlag der Schweizer Regierung in Kraft treten. Dieser beinhaltet eine Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht, jedoch sollen laut ihm Unternehmen nicht haften, wenn Mensch und Umwelt zu Schaden kommen. Die Initiator*innen der Konzernverantwortungsinitiative kritisieren den Gegenvorschlag. „Ich bin überzeugt, dass die Selbstverpflichtung ohne wirksame Kontrolle und Haftung nicht ausreichend ist, damit alle Konzerne internationale Umweltstandards und die Menschenrechte respektieren. Der indirekte Gegenvorschlag wird deshalb keine Verbesserungen bringen. Klar ist, dass die starke Koalition für mehr Konzernverantwortung sich weiterhin dafür einsetzen wird, dass sich künftig alle an ein Mindestmaß an Verantwortung halten werden“, meint die Rechtsprofessorin und Compliance-Spezialistin Monika Roth, Co-Präsidentin des Initiativkomitees, in der Pressemitteilung der Konzernverantwortungsinitiative.

Trotz der Enttäuschung über das knappe Scheitern probieren die Initiator*innen positiv zu bleiben und blicken auf das Erreichte zurück. Dick Marty, Co-Präsident des Initiativkomitees und Tessiner alt Ständerat der FDP, sagt: „Heute möchte ich vor allem den Freiwilligen danken. Die Kampagne hat gezeigt, dass Zehntausende von Bürgerinnen und Bürgern zusammen viel erreichen können – auch wenn wir heute anerkennen müssen, dass die Konzernlobby mit ihren Falschmeldungen gewonnen hat. Das Engagement der Bürger/innen und das Volksmehr macht mir großen Mut. Ich werde mich weiterhin für mehr Gerechtigkeit einsetzen.“

Die Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz ist erneut ein Beleg dafür, dass die Achtung der Menschenrechte und der Schutz der Umwelt für eine Mehrheit der Menschen essenziell sind. In Deutschland haben sich in einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap im September 75 Prozent der Befragten für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen. Dies stellt einen klaren Handlungsauftrag an die Politik dar: Unternehmen sollen nicht länger auf Kosten von Mensch und Umwelt wirtschaften. Es kann und darf nicht sein, dass sie bei Auslandsgeschäften Trinkwasser verseuchen oder Kinderarbeit in Kauf nehmen können, ohne dafür Konsequenzen tragen zu müssen. Die Bundesregierung muss nun endlich handeln und den Koalitionsvertrag umsetzen, indem sie noch in dieser Legislaturperiode ein starkes Lieferkettengesetz verabschiedet! 

Foto: Mark Henley / Panos Pictures

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