Keine Waldzerstörung, keine Ausbeutung in Lieferketten: Wie die beiden aktuellen EU-Vorhaben zusammenhängen

Abholzung, Übernutzung und Klimawandel bedrohen die Wälder auf der ganzen Welt. Auch die EU spielt dabei eine unrühmliche Rolle. Um das zu ändern, hat sie heute einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgestellt, mit dem zukünftig verhindert werden soll, dass Produkte aus Waldzerstörung auf den EU-Binnenmarkt gelangen. Gleichzeitig ist ein EU-Lieferkettengesetz in Planung. Macht sich die EU-Kommission damit doppelt Arbeit? Nein, sagen Julia Otten und Johannes Heeg und erklären in diesem Artikel die beiden Vorhaben.

17. November 2021 – Europa ist Vizeweltmeister der Waldzerstörung – zu dem Schluss kam eine WWF-Studie Anfang des Jahres. Für 16 Prozent der globalen Tropenwaldabholzung und Naturzerstörung ist die EU demnach verantwortlich, mehr als Indien oder die USA. Der Grund: Die EU importiert viele Rohstoffe, die zum Beispiel in Brasilien, Indonesien, Paraguay oder Argentinien zur Waldzerstörung beitragen. Dazu gehören Soja, Palmöl, aber auch Rindfleisch, Holzprodukte, Kakao oder Kaffee. Man spricht deshalb von “importierter Entwaldung”. Doch auch innerhalb der EU landen Produkte aus Waldzerstörung und riesigen Kahlschlägen auf dem EU-Binnenmarkt, die beispielsweise aus Schweden, Finnland, Rumänien und Polen stammen. Die EU will nun dagegen vorgehen: Am heutigen Mittwoch hat sie daher einen entsprechenden Gesetzesvorschlagvorgestellt.

Parallel diskutiert die EU derzeit ein europaweites Lieferkettengesetz: Unabhängig von ihrer Branche sollen alle Unternehmen ab einer gewissen Größe zu menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfalt in ihren Lieferketten verpflichtet werden. Macht sich die EU-Kommission damit doppelte Arbeit? Und würde nicht ein übergreifendes Lieferkettengesetz ausreichen, um Entwaldung zu vermeiden? Nein, denn die beiden Vorhaben verfolgen unterschiedliche Ansätze, müssen aber zusammengedacht werden.

Wo setzen die beiden Gesetzesvorschläge an?

Beim Gesetzesvorhaben für entwaldungsfreie Lieferketten verfolgt die EU einen produktbezogenen Ansatz: Bestimmte kritische Produkte, die mit der Zerstörung von Wäldern oder bestimmen Ökosystemen in Verbindung stehen, sollen nur dann auf den EU-Binnenmarkt gelangen, wenn sie bestimme Kriterien erfüllen. Die spannende Frage ist also, welche Produkte als “kritisch” gelten: Germanwatch und andere Umweltorganisationen fordern, zumindest Soja, Palmöl, Kautschuk, Rindfleisch, Leder, Geflügel, Kaffee, Kakao, Holz und Mais dazuzuzählen.

Unternehmen, die solche Produkte in der EU verkaufen oder handeln wollen, müssen in Zukunft vor Markteintritt nachweisen, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind und ihr Produkt nicht zur Entwaldung beigetragen hat. Dazu müssen sie ein Risikomanagement einführen und eine Sorgfaltserklärung gegenüber der Behörde abgeben. Die Forderungen europäischer Umweltorganisationen zu diesem Prozess sind in diesem Positionspapier zusammengefasst.

Das geplante EU-Lieferkettengesetz hat einen anderen Ansatz: Es ist nicht produkt-, sondern unternehmensbezogen. Die Idee dahinter: Es soll nicht nur für Hersteller von besonders kritischen Produkten gelten, sondern für alle Unternehmen in der EU ab einer gewissen Größe. Für diese soll es verbindliche Sorgfaltspflichten geben. Das bedeutet zum Beispiel, dass Unternehmen Risikoanalysen anfertigen und kontinuierlich prüfen müssen: Gibt es in meiner Lieferkette Risiken für Menschenrechte oder Umwelt? Falls ja, müssen sie Maßnahmen ergreifen, um diese abzustellen oder zu verhindern. Tun sie das nicht und es tritt ein Schaden ein, müssen sie diesen wiedergutmachen. Ein solches EU-Lieferkettengesetz könnte präventiv und in die Breite wirken.

Zwei Gesetze, ein Ziel?

Die beiden Vorhaben verfolgen also unterschiedliche Ansätze – einen produktbasierten und einen unternehmensbasierten. Sie unterscheiden sich auch in ihren Anwendungsbereichen, also wer von ihnen betroffen ist, und in der Durchsetzung ihrer Vorgaben. Ein Vergleich der beiden Ansätze findet sich in dieser Tabelle. Warum aber dieser doppelte Ansatz, wenn das Ziel doch vergleichbar ist: Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten beenden?

Zunächst einmal ist es nicht untypisch, dass die EU Regelungen nur für bestimmte Sektoren trifft. So gibt es z.B. bereits eine Konfliktrohstoff-Verordnung oder eine Fischerei-Verordnung, die bestimmte menschenrechtliche und ökologische Auflagen für die Einfuhr und den Handel vorgeben. Das Gesetz für globalen Waldschutz und entwaldungsfreie Lieferketten würde sich hier einreihen, um ein spezifisches Problem – die Entwaldung – anzugehen. Hierbei kann es auf bestimmte Lieferketten eingehen, zum Beispiel die von Agrarprodukten, und ganz konkret definieren, welche Art von Entwaldung und welche Eingriffe in Ökosysteme dabei verboten sind.

Ein starkes EU-Lieferkettengesetz würde diesen wichtigen Einzelregelungen ein gemeinsames Dach geben. Es würde dafür sorgen, dass alle Unternehmen Sorgfaltsmaßnahmen ergreifen müssen, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu verhindern. Und zwar ganz egal, in welcher Branche sie arbeiten oder mit welchen Produkten sie handeln. Damit könnte es Schlupflöcher schließen. Denn immer, wenn Regelungen nur für bestimmte Produkte oder Länder gelten, werden einige Unternehmen versuchen, diese zu umgehen. Die genannten Einzelregelungen sind dennoch unverzichtbar: Sie helfen, die Probleme in ganz speziellen Bereichen anzugehen und können dabei so detailliert auf einzelne Lieferketten eingehen, wie es das EU-Lieferkettengesetz nie könnte.

Zwei schwache Gesetze ergeben zusammen kein starkes

Der Gesetzesentwurf, den die EU-Kommission heute vorgelegt hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch nach Einschätzung vieler Umweltorganisationen reicht er in dieser Form nicht aus, um Wälder und andere Ökosysteme wirksam zu schützen. So bleiben bestimmte bedrohte Naturräume außen vor, zum Beispiel die Savannenwälder im brasilianischen Cerrado. Auch wertet der Entwurf anders als zunächst geplant Kautschuk nicht als “kritisch” – ein Produkt, das die europäische Autoindustrie viel verwendet. Dabei steht Kautschuk insbesondere in Ländern wie Kamerun mit Waldzerstörung und der Vertreibung von Indigenen in Verbindung. Die EU-Kommission hat ihren Entwurf auf den letzten Metern also noch abgeschwächt. An diesen Stellen besteht dringender Nachbesserungsbedarf.

Mit dem Kommissionsentwurf für das EU-Lieferkettengesetz ist im Dezember zu rechnen. Dann wird sich erneut zeigen, wie ernst es der Kommission damit ist, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in den Lieferketten europäischer Unternehmen wirksam zu beenden. Für die Initiative Lieferkettengesetz ist klar: Das deutsche Gesetz taugt hierbei nur bedingt zum Vorbild. Zum Schutz der Betroffenen muss das EU-Lieferkettengesetz deutlich über das deutsche Gesetz hinausgehen.

Denn so sehr das Vorhaben für entwaldungsfreie Lieferketten und das EU-Lieferkettengesetz auch ineinandergreifen und sich ergänzen, so klar ist auch: Zwei schwache Gesetze ergeben in der Summe leider kein starkes.

Zu den Autor*innen: Julia Otten ist Referentin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch e.V., Johannes Heeg ist Koordinator und Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz.

Foto: Entwaldung auf Borneo, Indonesien; Copyright: Ulet Ifansasti/Greenpeace

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