Entwurf für EU-Lieferkettengesetz: Der Grundstein ist gelegt
Endlich: Nach langem Aufschieben hat die Europäische Kommission vergangene Woche ihren Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorgestellt. Damit legt sie den Grundstein für weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung in den Lieferketten europäischer Unternehmen. Doch damit der große Wurf gelingt, muss die EU die heißen Eisen noch konsequenter anfassen. Dafür sind jetzt das Europaparlament und der Rat gefragt.
02. März 2022 – Brennende Regenwälder, Kinderarbeit auf Plantagen, Ausbeutung im Bergbau: Damit all das aus den Lieferketten von Unternehmen verschwinden, hat Deutschland im vergangenen Jahr das Lieferkettengesetz verabschiedet. Ein echter Paradigmenwechsel: Erstmals sind mit dem Gesetz Unternehmen in Deutschland dazu verpflichtet, Verantwortung für Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten zu übernehmen.
Doch das deutsche Gesetz hat auch viele Lücken und Schwachstellen. Umso mehr hat sich nach der Verabschiedung der Blick nach Europa gerichtet, denn: Ein EU-weites Lieferkettengesetz würde nicht nur für alle EU-Mitgliedsstaaten gelten – es könnte auch die Lücken im deutschen Gesetz schließen.
Aber der Prozess hat sich verzögert. Immer wieder hat die Kommission das Vorhaben im letzten Jahr verschoben, unter anderem nach einer Intervention des „Ausschuss für Regulierungskontrolle“. Immer mehr Unternehmen haben sich daraufhin öffentlich für ein ambitioniertes EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. Und Recherchen unserer Mitgliedsorganisationen zeigen: Hinter den Kulissen setzen die großen deutschen Wirtschaftsverbände weiterhin alles daran, eine solche Gesetzgebung zu verhindern oder weichzuspülen und damit auch das deutsche Lieferkettengesetz deutlich abzuschwächen.
Am vergangenen Mittwoch hat die EU-Kommission nun endlich ihren Vorschlag für das EU-Lieferkettengesetz vorgestellt – die Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit. Die Kommission legt damit den Grundstein für weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung in den Lieferketten europäischer Unternehmen. Doch beim Blick in den Entwurf wird auch schnell klar: Um wirklich etwas Großes zu starten, muss die EU die heißen Eisen konsequenter anfassen. Das heißt: Sorgfaltspflichten nicht nur für ein Prozent der Unternehmen und ohne Einschränkungen entlang der gesamten Lieferkette. Klare klimabezogene Pflichten für Unternehmen. Und eine Haftungsregelung ohne Schlupflöcher, die endlich Gerechtigkeit für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen schafft.
Während wir an einer detaillierten Analyse arbeiten, wagen wir an dieser Stelle einen ersten Blick: Was ist von dem EU-Entwurf zu erwarten?
Unverzichtbar für ein wirksames Gesetz: die Erfassung der gesamten Lieferkette
Das EU-Lieferkettengesetz soll nach Vorstellungen der Kommission prinzipiell für die gesamte Wertschöpfungskette gelten – ein wichtiger Schritt. Trotzdem gibt es eine gewaltige Schwachstelle: Es soll nur für „etablierte Geschäftsbedingungen“ gelten. Es droht damit die Gefahr, dass Unternehmen durch häufige Wechsel von Geschäftspartnern ihre Pflichten umgehen.
Erfassen soll das Gesetz alle Unternehmen im EU-Binnenmarkt mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen und einem jährlichen Nettoumsatz von 150 Mio. EUR. In den Risikosektoren Textil, Landwirtschaft und Bergbau sollen die Pflichten bereits für Unternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen und einem Nettoumsatz von 40 Mio. EUR gelten. Das klingt gut – allerdings fehlen in der Aufzählung der Risikosektoren die Bereiche Transport, Bauwesen, Energie und Finanzen, obwohl hier die Risiken für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen oft erheblich sind.
Auch wenn die Reichweite des Gesetzes über das deutsche Gesetz hinausgeht: Mit dem aktuellen Entwurf würde das EU-Lieferkettengesetz weniger als 1% aller Unternehmen in der EU erfassen – das ist viel zu wenig.
Schadensersatz für Betroffene: die zivilrechtliche Haftung
Um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung präventiv zu verhindern, sieht der EU-Entwurf ähnlich wie das deutsche Gesetz Sanktionen und Bußgelder vor, wenn Unternehmen gegen ihre Pflichten verstoßen. Darüber hinaus enthält der EU-Entwurf auch eine zivilrechtliche Haftungsregelung, mit der Betroffene gegen die verursachenden Unternehmen klagen können. Das gibt Anlass zur Hoffnung, nachdem dieser wesentliche Bestandteil im deutschen Lieferkettengesetz fehlte. Doch die Hürden für derartige Klagen sind weiterhin hoch, denn die Beweislast liegt weiterhin bei den Betroffenen: Sie müssen die Pflichtverletzung eines Unternehmens beweisen, was oft unmöglich ist. Nötig wäre daher eine Beweislastumkehr, mit der angeklagte Unternehmen nachweisen müssten, dass sie ihre Sorgfaltspflichten erfüllt haben. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Unternehmen durch Vertragsklauseln ihrer Verantwortung entziehen können.
Gegen Umweltzerstörung und Klimaverschmutzung: umwelt- und klimabezogene Sorgfaltspflichten
Immerhin: Der Kommissionsentwurf betont die zentrale Bedeutung des Privatsektors für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. Er verpflichtet Unternehmen, einen Klimaschutzplan zu erstellen, der mit dem 1,5-Grad-Ziel übereinstimmt. Der Haken an der Sache: Unternehmen, die ihrem Plan nicht gerecht werden, haben keinerlei Haftung zu befürchten. Und genau wie das deutsche Lieferkettengesetz versäumt er es auch der EU-Entwurf, Unternehmen eigenständige klimabezogene Sorgfaltspflichten aufzuerlegen. Angesichts des rasant fortschreitenden Klimawandels ist das Vorhaben an dieser Stelle schlicht nicht zeitgemäß.
Klarer Auftrag an Bundesregierung und Europaparlament: EU-Lieferkettengesetz nachbessern!
Diese Schwachstellen im EU-Lieferkettengesetz zeigen: Der Grundstein ist gelegt, doch der große Wurf ist der Kommission nicht gelungen. Dabei hätte die EU mit diesem Vorhaben die einmalige Chance, die Bedingungen entlang globaler Lieferketten endlich wirksam zu verbessern. Deswegen ist es jetzt so wichtig nachzubessern!
Der Kommissionsentwurf geht nun an das Europäische Parlament und an den europäischen Rat, wo auch die deutsche Bundesregierung über den Entwurf verhandelt. In ihrem Koalitionsvertrag hat sie versprochen, sich für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz einzusetzen. Sie hat daher nun einen klaren Handlungsauftrag für die Verhandlungen im Rat – als Zivilgesellschaft werden wir sie an ihr Versprechen erinnern.
Foto: Das Gebäude der EU-Kommission in Brüssel / Creative Commons, photo by TPCOM