Reaktion auf den Monitor-Beitrag der ARD vom 27.10.2022

Ein aktueller Beitrag des ARD-Magazins „Monitor“ und weitere Medienberichte haben gezeigt, wie die Bundesregierung versucht, den Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz abzuschwächen. Als Initiative Lieferkettengesetz stellen wir uns entschieden gegen diesen Versuch – hier unsere Reaktion auf den Beitrag.

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04. November 2022 – Der Beitrag des ARD-Politikmagazins „Monitor“ widmete sich am vergangenen Donnerstag der Position der deutschen Bundesregierung zum EU-Lieferkettengesetz, das derzeit in Brüssel verhandelt wird. Die EU-Kommission hatte Anfang des Jahres einen Entwurf hierfür vorgelegt. Dieser bietet zwar insgesamt noch Luft nach oben, würde aber in einigen Punkten entscheidende Verbesserungen gegenüber dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mit sich bringen. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich SPD, FDP und die Grünen darauf geeinigt, sich für ein „wirksames“ EU-Lieferkettengesetz einzusetzen. Doch der „Monitor“-Beitrag hat gezeigt: Mit ihren derzeitigen Positionen wird die Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel diesem Versprechen nicht gerecht. Als Initiative Lieferkettengesetz stellen wir uns entschieden gegen die Versuche der Bundesregierung, den Entwurf der EU-Kommission an mehreren Stellen weiter zu verwässern.

Damit ein Lieferkettengesetz wirksam ist, ist es erforderlich, dass Unternehmen die Menschenrechts- und Umweltrisiken in ihren Wertschöpfungsketten angemessen bewerten. Dazu zählen zum Beispiel die Risiken für Zwangsarbeit oder Wasserverschmutzung bei Zulieferern. Konkret bedeutet das: Unternehmen müssen diese Risiken anhand ihrer Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit gewichten. Andere Kriterien dürfen an dieser Stelle keine Rolle spielen – wie etwa die Frage nach der Einflussmöglichkeit des Unternehmens auf den Zulieferer. Denn sonst könnten sich Unternehmen ganz einfach nur den Risiken widmen, die in ihrem direkten Einflussbereich liegen – und andere, schwerere Risiken außen vorlassen. Dabei können Unternehmen in ihrer tieferen Lieferkette auch Verbesserungen erzielen, wenn sie keinen direkten Einfluss auf das betreffende Unternehmen haben, zum Beispiel im Zusammenschluss mit anderen Unternehmen. Es wäre ein direkter Widerspruch zu den Leitlinien der Vereinten Nationen und der OECD, die Risikobewertung vom Einflussvermögen abhängig zu machen – und trotzdem vertritt die Bundesregierung genau diese Position. Die Wirkung eines Lieferkettengesetzes würde damit erheblich abgeschwächt.

Ein großer Fortschritt des Kommissionsentwurfs gegenüber dem deutschen Lieferkettengesetz ist, dass Unternehmen für Schäden haften sollen, die sie durch Verstöße gegen ihre Sorgfaltspflichten mitverursacht haben. Doch laut „Monitor“ fordert Deutschland nun mehrere Schlupflöcher mit Blick auf die zivilrechtliche Haftung. Zum Beispiel sollen Unternehmen nach dem Willen der Bundesregierung nicht für Schäden haften, die sie zwar verursacht haben, in ihrer eigenen Risikoanalyse jedoch nicht priorisiert hatten. Damit könnten Unternehmen über ihre eigene Risikoanalyse mitentscheiden, für welche Schäden sie haften und für welche nicht. Dabei hatte ein Monitoring im Auftrag der Bundesregierung noch vor zwei Jahren festgestellt, dass nur ein Viertel der befragten deutschen Unternehmen angemessene Risikoanalysen durchführen. Für uns ist klar: Wenn Unternehmen durch Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht vermeidbare und vorhersehbare Schäden verursachen, müssen sie auch dafür haften, und zwar unabhängig von ihrer eigenen Risikopriorisierung.

Eine weitere Forderung der Bundesregierung: Unternehmen, die sich bestimmten Brancheninitiativen anschließen oder die staatlich anerkannte Zertifizierungen der Sorgfaltspflichten verwenden, sollen nur für Schäden haften, die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Diese Art von Regelung firmiert unter dem Namen safe harbour – sie soll ein „sicherer Hafen“ für Unternehmen sein. Nicht aber für Betroffene: Denn in der Vergangenheit haben viele Katastrophen stattgefunden, obwohl es Zertifizierungen gab – man denke an den verheerenden Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza, an den gebrochenen Staudamm in Brumadinho oder an den Einsturz der Produktionsstätte von Ali Enterprises. Deutlich wurde dabei, dass Zertifizierer häufig oberflächlich arbeiten und in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu den Unternehmen stehen, die sie zertifizieren sollen.

Alle bisherigen Erfahrungen zeigen: Weder Branchenstandards noch Zertifizierungen sind ein Garant für Menschenrechte. Sie dürfen daher keine Haftungserleichterung bieten. Es ist unverständlich, warum die Bundesregierung diese Ausnahme ins Spiel bringt. Die Initiative Lieferkettengesetz lehnt derartige Haftungserleichterungen für Unternehmen ab.

Wenn jemand Erleichterungen nötig hätte, dann die Kläger*innen. Diese müssen nämlich – auch nach dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission – beweisen, dass die schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung eines Unternehmens kausal zum Schaden geführt hat. Das bedeutet: Geschädigte müssen nachweisen, dass ein Unternehmen bestimmte Maßnahmen nicht ergriffen hat und diese Untätigkeit wiederum zur konkreten Menschenrechtsverletzung oder Umweltverschmutzung geführt hat. De facto ist es fast unmöglich, derartige Beweise zu erbringen, da es sich hierbei um unternehmensinterne Vorgänge und Prozesse handelt, in die Geschädigte keinerlei Einblick haben. Deswegen sollte umgekehrt das Unternehmen beweisen müssen, dass es die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat.  Aber mit einem Einsatz für eine solche faire Beweislastverteilung ist seitens der Bundesregierung bislang leider nicht zu rechnen.

Eine besonders fragwürdige Position der Bundesregierung, die in dem Monitor-Beitrag leider nicht aufgegriffen wurde, betrifft die Klimapläne, zu deren Erstellung Unternehmen nach dem Kommissionsentwurf verpflichtet werden sollen. Hierin sollen sie Maßnahmen beschreiben, mit denen sie ihr Geschäftsmodell in Einklang mit dem Übereinkommen von Paris bringen. Beschreiben – weiter nichts, denn die Bundesregierung spricht sich explizit gegen Sanktionen für Unternehmen aus, die ihre Pläne nicht umsetzen. Dabei gibt es schon heute eine riesige Diskrepanz zwischen den Klimaversprechungen von Unternehmen und ihren tatsächlichen Investitionen. Eine derart zahnlose Regelung wäre letzten Endes nichts anderes als Greenwashing seitens des Gesetzgebers.

Als zivilgesellschaftliches Bündnis von mehr als 130 Organisationen fordern wir die Bundesregierung dazu auf, sich auf ihr Versprechen im Koalitionsvertrag besinnen, Einsatz für ein wirksames Lieferkettengesetz zu zeigen. Wirksam bedeutet, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen die Möglichkeit haben, erfolgreich vor europäischen Gerichten Schadensersatz gegenüber Unternehmen einklagen zu können – also ohne gesetzliche Ausnahmen von der Haftung oder unüberwindbaren prozeduralen Hindernissen. Und wirksam bedeutet auch, dass Umwelt und Klima umfassenden Schutz erfahren und nicht unter „ferner liefen“ rangieren.

Foto: Baumwollernte im ländlichen Gujarat, Indien / (c) Petra Welzel, ver.di

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