Methode „Copy & Paste“: Wie deutsche Europa-Abgeordnete Forderungen der Wirtschaftslobby wörtlich übernehmen
Im Einsatz für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz? Von wegen! Nicht nur die deutsche Bundesregierung, auch deutsche Abgeordnete im Europaparlament machen sich für Abschwächungen des EU-Lieferkettengesetzes stark. Unsere aktuelle Recherche zeigt: Sie schreiben dabei von den großen Wirtschaftsverbänden ab – zum Teil sogar wörtlich. Im schlimmsten Fall würde das Vorhaben damit wirkungslos.
24. Januar 2023 – In Brüssel wird gerade heftig um das EU-Lieferkettengesetz gerungen. Ob es eine starke Handhabe gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung in Lieferketten europäischer Unternehmen wird, hängt davon ab, wie das Gesetz ausgestaltet ist. Aber Vertreter*innen der Europäischen Volkspartei wollen das Gesetz abschwächen. Unsere aktuelle Recherche von Misereor und dem Global Policy Forum zeigt: Viele ihrer Vorschläge haben sie dabei von Wirtschaftsverbänden übernommen, teilweise sogar wortwörtlich abgeschrieben – um aus dem Lieferkettengesetz ein Konzernlobbygesetz zu machen.
Im EU-Rat: Justizminister Buschmann verwässert deutsche Position
Am 30. November 2022 haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Position zum Kommissionsvorschlag vom Februar 2022 geeinigt. Doch der EU-Ratsbeschluss fällt in vielen Punkten hinter diesen zurück: Recherchen des ARD-Magazins Monitor haben gezeigt: Ein Großteil dieser Verwässerungen geht auf die deutsche Bundesregierung und eine interne „Weisung“ vom 2. September 2022 zurück.
Heute hat nun das Investigativmagazin Correctiv über eine Vorgängerversion dieser Weisung berichtet. Diese belegt: Die Bundesministerien für Arbeit und Soziales, für Wirtschaft und Klima, für Umwelt sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hatten ursprünglich deutlich ambitioniertere Pläne – bis das FDP-geführte Bundesjustizministerium intervenierte, einige Vorschläge der anderen Ministerien abschwächte und manche sogar in ihr Gegenteil verkehrte.
In unserer aktuellen Recherche haben Misereor und das Global Policy Forum über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) bislang unveröffentlichte Dokumente erhalten, die belegen: Mehrere Einwände des Bundesjustizministeriums lassen sich direkt auf Forderungen von Wirtschaftsverbänden zurückführen. Mit direkten Folgen: Der EU-Ratsbeschluss nimmt einige Punkte der deutschen Weisungen auf und spricht sich etwa dagegen aus, Unternehmen zur Umsetzung ihrer Klimapläne zu verpflichten. Zwar folgte er der Forderung nach einem großen Schlupfloch für Unternehmen in Form einer „Safe Harbour“-Regelung nicht – die Bundesregierung kündigte aber später in einer Protokollerklärung an, einem Gesetz ohne ein solches Haftungs-Schlupfloch nicht zuzustimmen.
Im Europaparlament: CDU-Abgeordnete wollen wirkungsloses EU-Gesetz
Auch im Europaparlament haben die großen Wirtschaftsverbände einen regelrechten Lobbysturm gegen ein wirksames EU-Lieferkettengesetz entfacht. Stimmten Abgeordnete der CDU/CSU im EP im März 2021 noch einem detaillierten Vorschlag für eine EU-Richtlinie zu, drängen sie schon ein Jahr später auf eine Vertagung oder sogar Ablehnung des Kommissionsvorschlags.
Und im federführenden Rechtsausschuss des EP legte der Schattenberichterstatter der EVP Axel Voss (CDU) am 30. November 2022 gemeinsam mit anderen Fraktionskolleg*innen Forderungen vor, die sogar hinter das ohnehin löchrige deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zurückfallen. Unsere Empörung darüber haben wir vergangene Woche in einem offenen Brief zum Ausdruck gebracht: Mit diesen Vorschlägen würde das EU-Lieferkettengesetz endgültig wirkungslos.
Die Methode „Copy & Paste“
Unsere aktuelle Analyse zeigt nun: Auch diese Forderungen haben die CDU-Abgeordneten zu weiten Teilen direkt aus Positionspapieren und Briefen von Wirtschaftsverbänden übernommen – teilweise sogar durch schlichtes Copy and Paste. Besonders eifrig haben Axel Voss und Kolleg*innen offenbar vom deutschen Verband der Chemischen Industrie (VCI) und dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) abgeschrieben. Und das ist nicht verwunderlich. Nach eigenen Angaben hat Voss seit Anfang 2021 mehr als acht Mal so oft mit Vertreter*innen von Unternehmen und ihren Interessensvertretungen über das geplante EU-Lieferkettengesetz diskutiert wie mit Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft.
Gemeinwohl vor Partikularinteressen
Dass Regierungsvertreter*innen und Abgeordnete auch die Perspektiven und Anliegen von Unternehmen anhören und in ihre Überlegungen einbeziehen, ist grundsätzlich nicht verwerflich. Wichtig ist dann aber, dass diese Perspektive nur eine von mehreren ist. Wenn gleichzeitig Gesprächsanfragen von Menschenrechts-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen nur selten oder gar nicht angenommen werden, ist dies ein problematisches Ungleichgewicht. Dies gilt besonders für eine Gesetzgebung, die das Ziel hat, den Schutz von Menschenrechten und der Umwelt zu verbessern. Bürger*innen und Zivilgesellschaft erwarten von Regierungen und Abgeordneten zurecht, dass sie bei den anstehenden Verhandlungen nicht die Partikularinteressen weniger Unternehmen, sondern das Gemeinwohl, Umwelt und Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen.
Foto: Workers in a coal mine. Potosí, Bolivia. Copyright: Marcel Crozet / ILO