Einigung zum EU-Lieferkettengesetz – was kommt da auf uns zu?
Es ist ein Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt in den globalen Lieferketten: In einer 16stündigen Marathon-Sitzung haben sich EU-Kommission, Rat und Parlament gestern auf das EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Doch was genau wird sich damit verändern? Wir haben uns den Kompromiss genauer angeschaut.
15. Dezember 2023 – Ob in den Textilfabriken in Südasien oder auf den Kakaoplantagen in Westafrika: Immer wieder kommt es in den Lieferketten europäischer Unternehmen zu Ausbeutung und Umweltzerstörung. Doch seit gestern ist klar: Unternehmen können und dürfen nicht so weitermachen wie bisher. Denn das EU-Lieferkettengesetz kommt – und damit müssen Unternehmen aus ganz Europa in Zukunft darauf achten, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in ihren Lieferketten zu vermeiden.
Zwar müssen der Europäische Rat und das Parlament den gestern erzielten Kompromiss noch bestätigen. Doch das gilt in Brüssel nur noch als Formsache. Werfen wir also einen Blick auf die Inhalte: Worauf genau hat man sich gestern geeinigt? Was unterscheidet das EU-Lieferkettengesetz vom deutschen Lieferkettengesetz, das seit Anfang 2023 in Kraft ist – und was verändert sich für die Betroffenen?
Vorab: Der genaue Wortlaut des Kompromisstextes ist noch nicht öffentlich. Wir werden diesen ausführlich analysieren, sobald er uns vorliegt. Doch schon jetzt ist klar: Das EU-Lieferkettengesetz wird an entscheidenden Stellen über das deutsche Gesetz hinausgehen. Gleichzeitig enthält es aber auch einige große Schwachstellen.
Für wen gilt das Gesetz?
Der Anwendungsbereich ist deutlich größer als beim deutschen Lieferkettengesetz: Während das deutsche Gesetz nur die ganz großen Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden erfasst (ab dem 01.01.2024: 1.000 Mitarbeitende), soll das EU-Lieferkettengesetz schon für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro gelten. Wenn kleinere Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden in einem Risikosektor wie z.B. dem Handel mit Edelsteinen aktiv sind, gilt das Gesetz auch für sie – welche Sektoren genau als Risikosektoren aufgenommen worden sind, ist jedoch noch nicht öffentlich. Klar ist: Kleine und mittlere Unternehmen sind weiterhin von dem Gesetz ausgenommen. Sie sind lediglich betroffen, wenn sie Teil der Wertschöpfungskette größerer Unternehmen sind. Für diesen Fall sieht das Gesetz zahlreiche finanzielle und administrative Unterstützungen seitens der EU, aber auch seitens der großen Unternehmen vor, damit die kleinen Unternehmen ihren Pflichten auch nachkommen können.
Unternehmen, die vom Gesetz erfasst sind, müssen in Zukunft ihre Lieferketten genau prüfen: Gibt es darin Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen? Falls ja, müssen sie diese Risiken priorisieren und dann geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Im Idealfall treten diese Schäden somit gar nicht erst ein, sondern werden präventiv verhindert.
Betroffene erhalten endlich Zugang zu Recht
Vor elf Jahren starben bei einem Fabrikbrand in Pakistan hunderte Menschen, während sie Kleidung für den deutschen Markt produzierten. Der Brandschutz in der Fabrik Ali Enterprises war mangelhaft: Der Hauptkunde KiK interessierte sich zu wenig für die Arbeitsbedingungen bei seinem Zulieferer. Vier Betroffene klagten vor einem deutschen Gericht und forderten Schmerzensgeld – die Klage wurde abgewiesen. Für Betroffene war es bislang fast unmöglich, Entschädigung einzuklagen, wenn ein Unternehmen seinen menschenrechtlichen Pflichten nicht nachgekommen ist. Das soll sich mit dem EU-Lieferkettengesetz ändern: In Zukunft haben Betroffene Zugang zu Gerichten in den Mitgliedstaaten, können auf Schadensersatz klagen und bei Gericht auch die Herausgabe von Informationen von Unternehmen erwirken. Fälle sollen erst nach fünf Jahren verjähren – all das sind deutliche Fortschritte im Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz, das keine Regelungen zur Haftung enthält. Trotzdem gibt es auch beim EU-Lieferkettengesetz Einschränkungen: Für kollektiv genutzte Rechte, wie beispielsweise Rechte der Gewerkschaften und indigenen Völker, greift die Haftung nicht. Auch greift sie nicht, wenn Unternehmen ihre Klimapläne nicht ordnungsgemäß erstellen.
Gemischtes Fazit beim Thema Klimaschutz
Womit wir beim Thema Klima angelangt sind – und ähnlich wie bei der Weltklimakonferenz in Dubai fällt auch hier das Fazit gemischt aus. Positiv ist: Unternehmen müssen in Zukunft einen sogenannten „Klimaplan“ erstellen. Das heißt, sie müssen darlegen, wie sie die Emissionen in ihrem Geschäftsbereich und vor allem auch in ihrer Lieferkette so reduzieren, dass sie im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens stehen. Auch müssen sie sich Zwischenziele setzen. Doch ab hier wird es problematisch. Denn die zuständigen Behörden sollen nur kontrollieren, ob ein Unternehmen einen solchen Plan erstellt und er die inhaltlichen Anforderungen erfüllt, nicht aber, ob das Unternehmen diesen auch umsetzt. Zwar sind die Unternehmen zur Umsetzung verpflichtet („put into effect“) – kontrolliert und im Zweifelsfall sanktioniert werden soll das aber nicht. An dieser Stelle hat die EU eine gewaltige Chance liegengelassen.
Die zwei größten Schwachstellen: Finanzsektor und nachgelagerte Lieferkette praktisch nicht erfasst
Noch enttäuschender fällt das Ergebnis im Bereich des Finanzsektors aus. Denn obwohl Finanzinstitute erwiesenermaßen massiv zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden beitragen, legt ihnen das EU-Lieferkettengesetz keine Sorgfaltspflichten für ihre Investitionen und Kredite auf. Das liegt daran, dass das Gesetz nicht für die nachgelagerte Lieferkette gilt. Das entspricht nicht den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die klar sagen, dass auch der Verkauf von Produkten von der Sorgfaltspflicht umfasst sein muss. Für das EU-Lieferkettengesetz heißt das: Unternehmen müssen also nicht prüfen, wofür ihre Produkte verwendet werden – und das gilt für Hersteller von Überwachungstechnologie und Pestiziden genauso wie für Finanzdienstleister, deren Produkte eben Kredite und Investitionen sind. Somit sind Banken, Versicherer und Investoren de facto nicht erfasst.
Immerhin: Auch Versicherer und Investoren müssen fortan Klimapläne erstellen und verwirklichen, die im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehen. Doch das ändert nichts am fatalen Gesamteindruck, dass die EU hier eine ganze Branche aus der Verantwortung entlässt.
Trotz der Einschränkungen: Ein großer Schritt für die Menschenrechte!
Die Einschränkungen im Bereich Klimaschutz, nachgelagerte Lieferketten und Finanzen sind schmerzhafte Kompromisse, die unter anderem dem Lobbyismus der großen Unternehmensverbände geschuldet sind. Trotzdem ist das EU-Lieferkettengesetz ein Meilenstein: Es markiert einen europaweiten Paradigmenwechsel, weg von freiwilligen Selbstverpflichtungen, hin zu verbindlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen – und somit einen großen Erfolg der europaweiten Zivilgesellschaft, die sich seit Jahren und Jahrzehnten für dieses Vorhaben stark gemacht hat. Das EU-Lieferkettengesetz muss nun zügig durch das europäische Parlament und den Rat, damit das Gesetz noch vor den anstehenden EU-Wahlen verabschiedet werden kann.