Entwurf für Lieferkettengesetz: Anreiz zum Wegschauen statt präventiver Menschenrechtsschutz

Endlich: Nach monatelangen Verzögerungen hat sich die Bundesregierung auf einen Kompromiss für das Lieferkettengesetz geeinigt. Doch unsere Auswertung zeigt: Der Gesetzentwurf hat massive Schwachstellen. Für uns ist daher klar: Der Bundestag muss den Entwurf nachbessern. Denn ein Lieferkettengesetz muss die gesamte Lieferkette erfassen und die Rechte von Betroffenen stärken!

01. März 2021 – Drohen in meiner Lieferkette Risiken für die Menschenrechte? Und kann ich etwas dagegen tun? Diese Fragen muss sich jedes Unternehmen im Rahmen einer Risikoanalyse stellen. Dabei muss es seine gesamte Lieferkette in den Blick nehmen. Das sagen nicht wir – das sagen die Vereinten Nationen! So haben sie es in ihren Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte beschlossen und so will es auch die OECD.

Doch die Bundesregierung nimmt es mit diesen internationalen Vereinbarungen offenbar nicht so genau: Sie plant ein Lieferkettengesetz, das diesen Grundsatz von unternehmerischer Sorgfalt untergräbt. Für uns ist klar: Ein Rückschritt hinter internationale Standards wäre inakzeptabel!

Aber der Reihe nach. „Wir haben lange gerungen, wir haben lange verhandelt. Aber jetzt ist klar: das deutsche Lieferkettengesetz kommt – und zwar noch in dieser Legislaturperiode.“ Mit diesen Worten verkündeten die Minister Heil (SPD), Müller (CSU) und Altmaier (CDU) am 12. Februar ihren Kompromiss. Inzwischen liegt der Gesetzentwurf vor. Wir haben uns angeschaut, worauf sich die Minister da geeinigt haben – unsere ausführliche Auswertung findet ihr hier.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass deutsche Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden ab 2023 dazu verpflichtet werden, entlang ihrer Lieferketten auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten. Eine Behörde soll prüfen, ob sie dem nachkommen. Tun sie das nicht, können Unternehmen mit Bußgeldern und einem Ausschluss von der öffentlichen Beschaffung bestraft werden.

Das klingt erstmal gut: Denn damit leitet das Gesetz einen dringend notwendigen Paradigmenwechsel ein. Weg von einer rein freiwilligen Corporate Social Responsibility, hin zu verbindlichen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Vorgaben.

Doch der Gesetzentwurf hat massive Schwachstellen. Die größte haben wir oben erwähnt: Auf Druck der Wirtschaftsverbände, des CDU-Wirtschaftsrats, des Bundeswirtschaftsministers und der Bundeskanzlerin wurden die die Reichweite der Sorgfaltspflichten von Unternehmen so eingeschränkt, dass sie sich in vollem Umfang nur noch auf direkte Vertragspartner beziehen. Für Unternehmen wie Lidl, Aldi und Co. würde das konkret bedeuten: Sie müssten beim Einkauf von Bananen nur eine Handvoll Zulieferer in den Blick nehmen, die alle in Deutschland sitzen – nicht aber die Plantagen, von denen die Bananen stammen.

Denn tiefer in der Lieferkette – zum Beispiel auf der Bananenplantage – müssten Unternehmen ihre Risiken nur „anlassbezogen“ ermitteln und nur dann etwas unternehmen, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ über eine mögliche Verletzung der Menschenrechte erlangen. Das ist absurd: Unternehmen würden somit erst dann aktiv, wenn sie jemand anderes konkret auf eine mögliche Verletzung hinweist oder der Schaden schon entstanden ist! Das Gesetz würde Unternehmen sogar einen Anreiz zum Wegschauen setzen, frei nach dem Motto:  Je weniger ich von Problemen in meiner Lieferkette weiß, desto besser – denn desto weniger muss ich tun. Das widerspricht dem präventiven Kerngedanken der UN-Leitprinzipien und ist für uns inakzeptabel.

Außerdem fehlt in dem Gesetzentwurf eine zivilrechtliche Haftung vollständig – und damit die Möglichkeit für Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen, vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen. Das französische Loi de Vigilance und auch die bisherigen Pläne für eine EU-Regelung gehen da deutlich weiter.

Ebenso fatal: Der Gesetzentwurf berücksichtigt Umweltstandards nur marginal und führt keine eigenen, umweltbezogenen Sorgfaltspflichten ein. Damit bietet er keinen ganzheitlichen und eigenständigen Schutz der Umwelt. Massive Umweltzerstörungen durch Biodiversitätsverlust werden gar nicht erst erfasst, auch das Klima findet keine Berücksichtigung als Schutzgut.

Und: Das Gesetz soll für viel zu wenig Unternehmen gelten, nämlich zunächst nur für rund 600. Ab 2024 sollen dann Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden erfasst werden – das wären etwa 2.800 Unternehmen. Immer noch viel zu wenig! Auch weitaus kleinere Unternehmen können zu schweren Umweltschäden oder Menschenrechtsverletzungen beitragen.

Für uns ist klar: Wir brauchen nicht irgendein Lieferkettengesetz, sondern eines, das wirksam ist. Deswegen fordern wir alle Abgeordneten des Bundestages dazu auf, sich im Bundestag für Nachbesserungen des Lieferkettengesetzes stark zu machen. Ein wirksames Lieferkettengesetz muss:

  • Unternehmen dazu verpflichten, proaktiv entlang ihrer gesamten Lieferkette Menschenrechts-Risiken zu analysieren;
  • die Rechte von Betroffenen durch eine zivilrechtliche Haftungsregelung stärken;
  • eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflichten einführen;
  • alle Unternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen erfassen.

Zum Weiterlesen:

  • Den aktuellen Gesetzentwurf findet ihr hier.
  • Unsere Auswertung und Stellungnahme zum Gesetzentwurf findet ihr hier.
  • The English translation of our statement on the draft bill is available here.
  • Unsere ausführliche juristische Analyse des Gesetzentwurfs inkl. 14 konkreter Verbesserungsvorschläge findet sich hier.

Foto: Samer Muscati/Human Rights Watch

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