EU-Lieferkettengesetz nimmt nächste Hürde – Schwachstellen des deutschen Entwurfs immer deutlicher

Müssen bald Unternehmen in ganz Europa dafür sorgen, dass es in ihren Lieferketten nicht zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung kommt? Die gestrige Abstimmung im Europaparlament war jedenfalls ein weiterer Schritt in diese Richtung. Was dabei immer deutlicher wird: Der Gesetzentwurf für ein deutsches Lieferkettengesetz reicht hinten und vorne nicht aus!

11. März 2021 – Am Ende war es ein deutliches Ergebnis: 504 von 695 Parlamentarier*innen stimmten gestern im Europaparlament für den sogenannten „Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen“. Das bedeutet: Das Europaparlament empfiehlt der EU-Kommission, eine Art EU-weites Lieferkettengesetz einzuführen. Inhaltlich geht das Europaparlament dabei weit über den verwässerten deutschen Gesetzesentwurf hinaus, auf den sich die Bundesregierung letzte Woche geeinigt hat.

Dementsprechend zufrieden war auch die Abgeordnete Lara Wolters, die den Bericht eingebracht hatte: „Für Unternehmen schaffen wir ein level playing field und Rechtssicherheit. Für Verbraucher*innen garantieren wir faire Produkte. Für Arbeiter*innen erhöhen wir den Schutz. Für Opfer von Menschenrechtsverletzungen verbessern wir den Rechtszugang. Und für die Umwelt gehen wir einen Schritt, der bereits lange überfällig war.“

Das klingt vielversprechend – und in der Tat kommt der Bericht des EU-Parlaments genau rechtzeitig: Im Juni will der EU-Justizkommissar Didier Reynders seine Pläne für ein europäisches Lieferkettengesetz vorstellen. Die gestrige Abstimmung im EU-Parlament gibt ihm hierfür gehörigen Rückenwind. Denn die Abgeordneten haben auch mehrere Änderungsanträge abgelehnt, die den Parlamentsbericht verwässern sollten.

Trotzdem ist der Weg zu einem europäischen Lieferkettengesetz noch lang. In den kommenden Monaten wird es hitzige Debatten über den Anwendungsbereich, die Reichweite der Sorgfaltspflichten und die Frage der zivilrechtlichen Haftung geben. Auch wir werden uns in diese Debatte einmischen: Im Konsultationsverfahren der EU-Kommission haben wir bereits eine Stellungnahme eingereicht.

Ein Vergleich zwischen dem Vorschlag des EU-Parlaments und den Plänen der Bundesregierung macht die Schwachstellen des deutschen Gesetzentwurfs noch mal in aller Deutlichkeit sichtbar:

  • Das EU-Parlament plant einen größeren Anwendungsbereich als die Bundesregierung: Es will viel mehr Unternehmen einbeziehen, darunter auch kleine und mittlere, die an der Börse notiert oder in Risikosektoren tätig sind. Auch US-amerikanische und chinesische Firmen, die in der EU Geschäfte machen, würden erfasst.
  • Sowohl der Bericht des EU-Parlaments als auch die Pläne von Kommissar Reynders beinhalten, wogegen sich der deutsche Wirtschaftsminister so vehement und erfolgreich gesträubt hat: klare Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung, um die Rechte von Betroffenen zu stärken.
  • Die Reichweite der Sorgfaltspflichten ist die größte Schwäche des deutschen Gesetzentwurfs: Jenseits der direkten Vertragspartner müssten Unternehmen Risiken nur in den Blick nehmen, wenn sie einen „Anlass“ dafür haben. Das wäre in etwa so, als würde man einen Brandmelder erst dann einbauen, wenn das Haus schon in Flammen steht. Dagegen betonte Justizkommissar Reynders mit Blick auf den Bericht klar, dass Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette proaktiv handeln müssen. Wer Zwangs- oder Kinderarbeit bekämpfen will, darf sich nicht auf direkte Lieferbeziehungen beschränken!
  • Auch in Bezug auf Umweltfragen geht der Vorschlag des EU-Parlaments über den deutschen Gesetzentwurf hinaus. Anders als der Entwurf der Bundesregierung sieht der Bericht des EU-Parlaments eine eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflicht vor – im Angesicht von Klimawandel und fortschreitender Umweltzerstörung ist das überfällig.

Dieser kurze Vergleich zeigt erneut: Der Entwurf für ein deutsches Lieferkettengesetz reicht hinten und vorne nicht aus. In den nächsten Wochen geht der Gesetzentwurf in den Bundestag. Nun liegt es an den Abgeordneten, sich für Nachbesserungen einzusetzen. Denn gegen Gewinne ohne Gewissen hilft nur ein starkes Lieferkettengesetz.

Foto: Baumwollkerne nach der Ernte in Gujarat / (c) Petra Welzel, ver.di

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