Großer Erfolg: Das EU-Lieferkettengesetz kommt doch noch!
Nach dem Feldzug der FDP stand das EU-Lieferkettengesetz kurz vor dem Aus. In einem dramatischen Verhandlungs-Endspurt ist es der belgischen Ratspräsidentschaft nun doch noch gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für das wichtige Menschenrechtsvorhaben zu sichern. Und das, obwohl sich Deutschland enthalten hat.
Berlin, 20. März 2024 – Es war ein guter Tag für Menschenrechte und Umweltschutz: Der Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rats der Europäischen Union (COREPER) hat am vergangenen Freitag (15. März) endlich für das EU-Lieferkettengesetz gestimmt – nachdem die FDP und insbesondere Bundesjustizminister Buschmann in den letzten Monaten nichts unversucht gelassen hatten, das Gesetz noch zu Fall zu bringen. Und das, obwohl es eigentlich bereits im Dezember eine Einigung in Europa gegeben hat, an der auch die Bundesregierung mitverhandelt hatte. Doch nach vielen verschobenen Abstimmungen kann das Gesetz nun endlich die letzten offiziellen Schritte nehmen.
Fünf Jahre lang hat unser Bündnis dafür gekämpft, dass Unternehmen keine Profite mehr auf Kosten von Mensch und Umwelt machen. Die Verabschiedung des deutschen Lieferkettengesetzes 2021 war ein erster Zwischenerfolg. Wir sind froh und erleichtert, dass wir am Freitag unserem Ziel einen weiteren, entscheidenden Schritt nähergekommen sind: Mit der Entscheidung für das EU-Lieferkettengesetz gibt es zukünftig in ganz Europa verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen.
Konkret bedeutet das: Große Unternehmen müssen künftig prüfen, ob es in ihren Lieferketten Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden gibt. Wenn sie solche Risiken identifizieren, müssen sie diese priorisieren – welche sind besonders wahrscheinlich, welche besonders gravierend? – und dann Gegenmaßnahmen ergreifen. Eine weitere, ganz wichtige Neuerung: Betroffene von Menschenrechtsverletzungen, die in den Lieferketten europäischer Unternehmen um Gerechtigkeit kämpfen, erhalten endlich einen besseren Zugang zu Recht. Durch die Haftungsregelung, die im EU-Lieferkettengesetz enthalten ist, haben sie künftig die Möglichkeit, Schadensersatz von Unternehmen einzuklagen – wenn Unternehmen den Schaden hätten verhindern können, aber nicht aktiv geworden sind. Dies ist eine entscheidende Neuerung gegenüber dem deutschen Gesetz.
Dass die deutsche Bundesregierung sich bei der Abstimmung am Freitag enthalten hat, ist peinlich – schließlich hat Deutschland bereits ein Lieferkettengesetz und schließlich hatte die Bundesregierung den Kompromiss selbst mitverhandelt. Die Kehrtwende der FDP war ein Wahlkampfmanöver, das die internationale Glaubwürdigkeit Deutschlands massiv beschädigt hat. Letztlich ist es dem Verhandlungsgeschick der belgischen Ratspräsidentschaft zu verdanken, dass auch ohne Deutschland noch eine qualifizierte Mehrheit für dieses Vorhaben zustande gekommen ist.
Möglich wurde dies nur, weil es auf den letzten Metern massive Zugeständnisse an Bedenkenträger gab. Der neue Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz ist damit an einigen Stellen leider deutlich schwächer ausgefallen, als es die Trilog-Einigung im Dezember vorgesehen hätte:
Weniger Unternehmen erfasst: Frankreich hat im letzten Moment durchgesetzt, dass Unternehmen mehr als doppelt so groß sein müssen wie ursprünglich vereinbart, um unter das Gesetz zu fallen. Erfasst werden Unternehmen nur, wenn sie mehr als 1000 Mitarbeiter*innen beschäftigen und einen Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro aufweisen – eine Schwelle, die im deutschen Lieferkettengesetz nicht vorgesehen ist. Selbst in Risikosektoren, die notorisch mit Menschenrechtsverletzungen behaftet sind – wie die Textilindustrie, der Bergbau und der Agrarsektor – müssen sich nur extrem große Unternehmen mit Menschen- und Umweltrechtsverletzungen in ihren Wertschöpfungsketten auseinandersetzen. Wir schätzen, dass durch diese Änderungen die Gesamtzahl der von der CSDDD erfassten EU-Unternehmen von etwa 16.000 auf unter 5.500 sinken wird.
Pflichten für die nachgelagerte Lieferkette weiter eingeschränkt: Um große Mitgliedstaaten wie Italien zufriedenzustellen, wurden in der neu ausgehandelten Vereinbarung die Tätigkeiten, die der Sorgfaltspflicht unterliegen, weiter eingeschränkt. Einzelne Bereiche der nachgelagerten Lieferkette wie Entsorgung, Deponierung, Demontage oder das Recycling von Produkten wurden komplett ausgeschlossen. Das bedeutet, dass Unternehmen bei diesen Tätigkeiten keine Risiken und Schäden erkennen und darauf reagieren müssen.
Keine Boni für Klimaschutz: Italien und Frankreich haben sich strikt dagegen ausgesprochen, Unternehmen zu verpflichten, ihren Geschäftsführern finanzielle Anreize (d.h. Boni) zu bieten, um die Umsetzung von Klimaschutzplänen zu fördern. Diese Bestimmung hätte darauf abgezielt, den Übergang zur Nachhaltigkeit zu beschleunigen. Zwar müssen die Unternehmen mit dem EU-Lieferkettengesetz Klimapläne vorlegen, trotzdem hat die EU hier eine große Chance vertan.
Und dennoch: Dass das EU-Lieferkettengesetz jetzt wirklich auf dem Weg ist, ist ein Gewinn. Der Paradigmenwechsel ist europaweit gelungen – weg von freiwilligen Selbstverpflichtungen, hin zu verbindlichen Sorgfaltspflichten. Das ist nicht nur für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen ein großer Erfolg, sondern auch für die deutsche und europäische Zivilgesellschaft, die unermüdlich für dieses Vorhaben gekämpft hat – und sich dabei erfolgreich einer schier übermächtigen Lobby von einflussreichen Industrie- und Unternehmensverbänden entgegengestellt hat.
Formal muss der letzte Kompromiss nun nur noch vom Europaparlament bestätigt werden.